Gamechanger FaceTime
Apples iPhone 4 hat zweifelsohne viele tolle Funktionen. Nachzulesen sind sie hier im iPhone 4-Briefing hier auf digirati. Und – anders als beim iPad – ist mir klar: Ich muss eines haben.
Vor gut einer Stunde habe mich mit meinem Kollegen Gerald Reischl vom Kurier (der im Übrigen mehr bloggen sollte) ein wenig austauscht. Und als wir so Argumente ausgetauscht haben, bemerkte ich, dass hinter FaceTime – Apples Weg, die Videotelefonie wieder zu beleben – viel mehr steckt, als ich erst dachte.
Facetime wird auch die Sprachtelefonie verändern und Mobilfunker endgültig zur Bitpipe degradieren.
Sämtlich Mobilfunkbetreiber dieser Welt müssen Montagabend zusammen gezuckt sein, als sie davon gehört haben. Videotelefonie wird die Kommunikation (einiger Nutzer) verändern, aber ihren Wandel Mehrwertanbietern hin zur bloßen Bitpipe dramatisch beschleunigen. FaceTime ist ein echter Gamechanger – in vielerlei Hinsicht.
Videotelefonie in den USA
Freilich stimmt es, dass es in Europa schon seit Jahren Videotelefonie geben könnte. Neben proprietären Standards und mangelhafter Technik waren es vor allem die stark überhöhten Preise, die den Erfolg verhinderten. Um die 50 bis 60 Cent kostet heute eine netzübergreifende Videominute. FaceTime kostet 0 Cent. Wegen dem überaus großen Erfolg, geht (rein subjektiv) die Zahl der Videohandys bereits wieder zurück. Einige Hersteller – wie etwa RIM – bauten das gar nie in ihre Geräte ein.
Ergebnis: In den USA kam Videotelefonie gar nie richtig an. Jetzt, wo die Technik reif zu sein scheint, werden die Amerikaner viel friktionsloser an das Thema heran gehen. In Europa sieht man das Thema bereits als gescheitert an. Aber – ob „zum Glück“ oder nicht – kommt ja alles irgendwann über den großen Teil (zurück) zu uns.
Hier der Apple Werbespot, der die Amerikaner darauf einstimmen soll.
Offene Standards
Weil Kontrollfreaks (gemeint sind Mobilfunkbetreiber) dabei absolut keine Rolle spielen, könnte die Sache ein Erfolg werden. FaceTime ist derzeit auf das iPhone 4 beschränkt (per Jailbreak möglicherweise auch auf ältere Geräte) und ist derzeit ausschließlich im Wlan nutzbar.
Auch wenn Steve Jobs heuer noch „tenth of millions of devices“ damit verkaufen will – der Nutzen bleibt noch eingeschränkt. Noch, denn FaceTime setzt auf offene Standards und nutzt größtenteils bestehende Technologien. Apple will seine „Buchstabensuppe“ (O-Ton Jobs) bei Standards-Gremien einreichen und allen zugänglich machen. Jeder wird darauf aufbauend Dienste und Geräte anbieten können.
Welche Standards spielen da zusammen?
h.264: Videocodec (Ergänzung: durch Patente geschützt)
AAC: Audiocodec (Ergänzung: durch Patente geschützt)
SIP: Session Initiation Protocol, Protokoll für klassische Internet-Telefonie
STUN: Ein Netzwerkprotokoll, mit dem – sehr vereinfacht gesagt – andere Teilnehmer „aufgefunden“ werden können.
TURN: Eine Erweiterung für das NAT-Protokoll. Damit werden Netzwerkadressen in einem Netzwerk verteilt. TURN hilft beim Aufbau der Verbindung.
ICE: Protokoll, das beiden Endpunkten (Teilnehmern) hilft, die Pakete am idealen Weg zueinander zu verschicken.
RTP: Ein Protokoll zur Übertragung Daten (Voice oder Video in dem Falle) von Echtzeit
SRTP: Wie RTP nur über sicher Leitungen.
Bitte um Nachsicht und Korrektur, ob hier alles richtig ist. Aber das ist nicht das Wichtigste dabei – bei mir hat es bei SIP geklingelt: Das sind alles Protokolle für Internet-Verbindungen. Das sind alles offene Protokolle, die bestimmen, wie Daten von einem Punkt zum anderen über das Internet gelangen können. Über das Internet – egal ob die Verbindung übers Mobilfunknetz erfolgt oder nicht!
Da spielt kein versteckter Server mit irgendwelchen geheimnisvollen Protokollen in Nokia- oder Ericsson-Containern mit. Das könnte jeder Softwareentwickler in Code formen.
Telefon-Revolution
Und wenn man Videotelefonie damit machen kann, könnte man auch ganz einfach das Bewegtbild weglassen und übrig bleibt simple Sprachtelefonie übers Internet (VoIP). Man könnte von A nach B einfach übers Internet telefonieren und der Mobilfunkbetreiber muss zuschauen.
Gut, das kann man schon lange – aber das Geheimnis liegt in der Eleganz und Einfachheit, mit der Apple das demonstrierte. Das klappt ohne vorhergegangene, komplexe Einstellarbeit am Handy. Wer schon einmal den Sip-Client auf einem Nokia-Handy konfiguriert hat (die haben das seit Jahren), weiß, wo von ich rede.
Bitpipe: Alles über IP
Das trojanische Pferd Apple muss den Mobilfunkern gehörig Angst machen. Wäre ich einer, ich würde mich davor fürchten, zur reinen Bitpipe zu verkommen. Bitpipe, Datenspediteur, wie auch immer – in der puren Konnektivität lieft künftig immer weniger Wertschöpfung.
Warum? Die Nummer ist mir ohnehin egal. Wozu brauche ich am Handy bald noch Sprachtelefonie vom Betreiber? Bald wird die Zeit kommen, wo zwei Gigabyte vom Betreiber für alles ausreichen. Und die kosten derzeit in Österreich acht Euro . . .
Was es noch viel schwerwiegender macht: Das alles ist nicht auf Apple beschränkt. Ich wette, dass es heuer noch FaceTime für Android und als Software für Macs, PC und Tablets geben wird!
A Note for Steve Jobs:
Ach ja, Steve – eines noch: Auch Telefon-Sex bekommt mit FaceTime eine ganz neue Qualität …