Veränderung unerwünscht
Die Zukunft aufzuhalten und den technologischen Fortschritt so zu verbiegen, um lausige Geschäftsmodelle weiter künstlich am Leben zu erhalten, ist unmöglich. In letzter Zeit hört man immer wieder von Institutionen und Firmen, die genau versuchen.
Dabei sollten sie lieber lernen, neue Technologien für ihre Zwecke zu nutzen und von diesen zu profitieren. Doch sie tun’s nicht.
Hier meine Top 5 der analogen Dinosaurier:
5. Buchverlage
Was war das nur für eine Aufregung, als der Amazon Anfang des Jahres die zweite Generation seines Kindle E-Books auf den Markt brachte! Eigentlich sollten sich die Verlage freuen, weil sie so einen neuen Vertriebskanal für ihre Bücher bekommen. Dank digitaler Distribution sind die Kosten für jedes weiter Exemplar fast null und der strenge Kopierschutz verhindert zuverlässig die Piraterie der von ihnen in Umlauf gebrachten E-Books.
Wegen eines unbedeutenden Features stiegen Autoren und Verlage dennoch auf die Barrikaden: Der Kindle kann mit Hilfe seines Synthesizers Bücher vorlesen. Die Verlage fürchteten, fortan weniger Hörbücher zu verkaufen. Der Protest zeigte Wirkung, Amazon ruderte zurück und lies es den Verlagen offen, diese Funktion für ihre Bücher zu gestatten.
Die grausliche Roboterstimme ist laut einigen Berichten kaum anzuhören und gerade für diejenigen eine Hilfe, die nicht lesen können – etwa Blinde. Dass jedes moderne Betriebssystem (Windows Vista, 7, MacOS) eine weit bessere Text-To-Speech-Engine als der Kindle hat, blieb in der Diskussion außen vor.
Und da wäre noch das Piraterieproblem, das der Branche zweifelsohne größere Sorgen bereiten müsste als ein vorlesender Roboter. Jeder E-Reader kann Textdateien verarbeiten, die sich auf einschlägigen Sites zuhauf finden. Michael Arrington von Techcrunch meinte bereits im Dezember 2007, dass der Buch-Diebstahl geradezu trivial einfach sei. Und mit dem ganz neuen, noch größeren, Kindle DX wird das noch attraktiver. Darüber sollten die Verleger grübeln und nicht überlegen, wie man Blinden den Zugang zu Büchern nimmt.
4. Die Politik
Unter dem Banner des Kampfes gegen Terrorismus oder Kinderpornografie kann man alles reinpacken und man muss nicht fürchten, dafür von der breiten Masse kritisiert zu werden. Wer mag schon Al Kaida oder Kinderschänder?
Das Problem dabei: Der Kampf gegen solche Web-Angebote ist ebenso wenig zu gewinnen wie diese Unmenschlichkeit je auszurotten ist. Leider. Das ist wie mit einer Hydra, der man unendlich viele nachwachsende Köpfe abschlagen müsste. Beispiel Wenn die Website XY.com blockiert wird, benennt sich diese einfach in XY123.com um und am nächsten Tag in XY124.com. Und so weiter und so fort.
Schlimmer noch: Behörden könnten sich in Sicherheit wiegen und bei der Verfolgung der Täter laxer werden. Zugleich könnten Umgehungstechniken wie transparente Proxy-Server dafür sorgen, dass die Situation schlimmer wird.
Aber ganz nebenbei ließen sich auch Websites in die Sperrlisten packen, die der Politik nicht recht sind. Ob das passiert oder nicht, wird man nie wirklich erfahren, denn die Sperrlisten sollen – zumindest in Deutschland – geheim bleiben. Aus verständlichen Gründen, um nicht Angebots-Listen zu machen.
Keine Frage: Netzsperren sind nicht der richtige Weg sind, das Problem zu bekämpfen. Zensur im Web ist für die Mächtigen bequem und populistisch zugleich. Nützten wird’s nicht viel.
3. Nachrichtenagenturen und Zeitungs-Websites:
Ein echter Dauerbrenner ist das Verlangen der Zeitungsverleger, Google solle ihnen doch für seinen Dienst Google News Geld abliefern. Seit Jahren gibt es diese Forderung, weil sie meinen, der Suchmaschinenbetreiber würde mit ihrem Content sehr viel Geld verdienen.
Das ist der größte Blödsinn, den man verzapfen kann. Google News ist eine geniale Seite, die einem entweder auf einen Blick zeigt, was los ist, oder aktuelle News zu einem Suchbegriff liefert. Stop! Google liefert nicht die News, sondern nur die Verweise auf die Stories der News-Websites.
Ein Großteil des Traffics auf diesem Blog kommt von Google und ähnlich (wenn auch nicht in diesem Ausmaß) wird es auch bei den Zeitungs-Websites sein. Google sorgt mit seinem Dienst, dass Nutzer kommen.
Wer das nicht will, kann das mit einfachsten Mitteln unterbinden. Die Technik dafür ist eine kleine Textdatei namens Robots.txt, die verhindert, dass die Suchmaschine vorbei kommt und die Inhalte indiziert. Liebe Zeitungsverleger: Wenn ihr Google nicht wollt, dann sperrt die Suchmaschine eben aus!
Hier noch eine kleine Anleitung: Die Datei müsste diese zwei Zeilen beinhalten
User-agent: *
Disallow: /
und im Root-Verzeichnis des Webservers platziert werden. Fertig! Fortan kann keine Suchmaschine eure wertvollen Inhalte klauen.
Eine besonders abartige Meinung legte AP unlängst an den Tag: Man meint, ein geistiges Eigentum auf Fakten zu haben. Über Blogs und Twitter dürfte erst gar nicht auf diese erst gelinkt werden.
2. Die Mobilfunker
Wie gerne würden sie Mehrwert-Dienste anbieten? Wie gerne würden sie viel Geld für etwas verlangen, das es anderswo kostenlos gibt? Dank immer weiter fortschreitender Vernetzung und besserer Geräte (schnellerer Datenfunk, größere Displays etc.) können Web-Angebote mit tatsächlich größerem Wert (als jene von den Handyfirmen selbst) bei Google, Yahoo, Microsoft und jedem kleinen Startup genutzt werden.
Den Betreibern scheint nicht zu gefallen, dass die nicht nur die deren Bit-Pipe schamlos nutzen, sondern mit ihren Diensten auch noch Geld verdienen. Ein Beispiel dafür ist Skype. Panik vor dem VoIP-Anbieter zu haben, mag bizarr und lächerlich klingen. Doch sie existiert real in fast jeder Chefetage der Mobilfunker.
In Deutschland – wo die Minutenpreise noch viel höher sind als in Österreich, wehren sich Mobilfunker dagegen, dass etwa Nokia Handys mit vorinstallierter Skype-Software anbietet. Wobei „wehren“ übertrieben ist. Die Geräte werden erst gar nicht angeboten. Und selbst wenn es das Flaggschiff N97 ist – was nicht angeboten wird, kann es auch nicht gekauft werden.
Das darf durchaus als Signal an die Hersteller von Mobiltelefonen sein: Wenn ihr Skype zum Telefonieren in unserem teuren 3G-Netz installiert, werdet ihr ausgelistet. Und wer traut sich da schon noch nein zu sagen. Und vor allem: Was wird ihnen als nächstes verboten? Ein Browser?
Dabei kann jeder der will, sich die Software herunterladen und nutzen – hier etwa für Windows Mobile oder Nokias Serie 60. Und normale (SIP-konforme) VoIP-Software gibt’s zuhauf – etwa hier. Die Mobilfunker haben Angst davor, dass so mancher Dienst immer einfacher zu nutzen wird.
T-Mobile, AT&T und andere konnten Skype fürs iPhone zwar nicht verhindern, aber zumindest so weit kastrieren, dass Gespräche nur im Wlan möglich sind.
Noch hat sich – meines Wissens nach – noch kein Betreiber getraut, einzelne Dienste ganz (Ports auf IP-Ebene) zu blockieren. Dass an der Priorisierung („Quality of Service“ klingt besser) einzelner Bits gedreht und geschraubt wird, ist dagegen bekannt. Bleibt die Hoffnung auf einen möglichst großen Aufschrei, wenn erste Web-Dienste tatsächlich abgedreht werden.
Die Mobilfunker sollten sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren: Konnektivität herzustellen. Sie sind Bit-Spediteure und sollten sich endlich damit abfinden!
1. Die US-Filmindustrie
Der eindeutige Sieg in dieser unrühmlichen Hitparade gehört der Motion Picture Association of Ameria (MPAA). Sie lieferte mir auch die Inspiration zu diesem Eintrag.
Derzeit gibt es in den USA gerade eine Diskussion über den Ausnahmen zum Digital Copyright Millenium Act (DMCA). Dieser stellt die Umgehung eines Kopierschutzes unter Strafe, auch wenn die Vervielfältigung eines Werkes unter Fair Use – etwa einer CD oder einer DVD zum privaten Gebrauch – eigentlich erlaubt wäre.
Die Diskussion kam deshalb auf, weil der Kopierschutz einer DVD geradezu trivial zu umgehen ist. Die Fürsprecher für mehr Fair Use brachten für die Öffnung des DMCA ein Beispiel: Es müsste etwa einer Lehrerin erlaubt sein, eine DVD für Unterrichtszwecke zu zeigen.
Dieses Beispiel nahm die MPAA auf. Eine Lehrerin muss die DVD gar nicht kopieren, so die Argumentation der Filmindustrie. Sie könnte den Fernseher mit einem Camcorder abfilmen.
Kein Witz! Das nachfolgende Video wurde allen Ernstes bei einer Anhörung vor dem ensprechenden Ausschuss gezeigt.
Hier geht’s zum Original-Video: MPAA shows how to videorecord a TV set von timothy vollmer.
Was wären weiter analoge Dinosaurer?
Danke für den Eintrag.
Echt unfassbar, wie manche Unternehmen des 21. Jahrhundert nicht wahrhaben wollen – aufgrund ihrer eigenen Unfähigkeit zur Flexibilität.
Die Schule, die Universitäten, die Ausbildung selbst.
Meral: Uh, ganz vergessen – die Schulbuchverlage!
Also darf ich im Kino auch filmen, weil ich dadurch keinen Kopierschutz umgehe und es nur im Unterricht verwende?
So viel Unsinn und so wenig Macht.
Hallo. Schöne Zusammenstellung, aber bei den Mobilfunkern frag ich mich doch wofür sie genau kritisiert werden? Wenn ich als Mobilfunker Kapazitäten bereitstellen würde – damit Leute dadurch telefonieren – hätte ich auch ein Problem mit Firmen, die nichts für die Infrastruktur zahlen und obendrein auch noch Kunden wegschnappen. Also: warum Dinosaurier?
@Ludwig: Weil sie mit allem Möglichen versuchen, ihr Geschäftsmodell aufrecht zu erhalten. Das wäre ja gerade noch zu akzeptieren und im Sinne Deiner Argumentation ja noch verständlich.
Aber: Wollen sie abgekapselt bleiben, wäre es nur logisch, wenn sie das, was sie verkaufen, gar nicht verkaufen würden – einen Internet-Zugang.
Warum soll jemand einen Internet-Zugang kaufen, der nicht alles bietet?
Schön, eine wirklich schnelle Antwort :-). Ok, ich formuliere es präziser. Aus meiner Sicht verkaufen die Mobilfunker den Zugang zu Telefon und mittlerweile immer häufiger auch zum Internet – für Privatnutzer. Dafür stellen sie die Infrastruktur zur Verfügung, bezahlen dafür. Sie „verkaufen“ also nach meiner Logik nicht an Konkurrenten wie Skype. Skype gibt nicht, nimmt aber. Warum sollten sie das zulassen?
@Ludwig: Genau um diesen Punkt geht es ja. Die verkaufen (gegen Bezahlung einer Gebühr) einen Internet-Zugang. Dann sollen sie doch gleich in die Werbung schreiben: „Das ist kein Internet, sondern der Zugang zu einzelnen, von uns ausgewählten, Online-Diensten“.
Das Netz hat neutral zu sein!
Konkurrenz: Im weitesten Sinne ist Twitter eine Konkurrenz für zur SMS. Wie wäre es, wenn Twitter.com auf Handys nicht erreichbar wäre oder die vielen Apps dafür nicht funktionieren würden?
Oder: Handy-Fotos kann man nicht nur per MMS, sondern auch per E-Mail (viel kostengünstiger) versenden. Wie wäre es, E-Mails auf Handys zu sperren?
@ Georg: Gute Argumente zu Twitter und Fotoversand, vor allem letzteres. Allerdings würde ich Twitter nicht als Konkurrenz zu SMS-Diensten bezeichnen, dazu sind die Möglichkeiten und der Nutzen zu verschieden – 1:1 vs 1:n oder n:n.
Zum Problem wird es dann, aus Sicht von „uns Mobilfunkern“, wenn der Kern des Geschäftsmodells von Trittbrettfahrern berührt wird. Skype ist definitiv ein Konkurrent.
Aber es stimmt, sie sollten dann wirklich gleich „Das ist kein Internet, sondern der Zugang zu einzelnen, von uns ausgewählten, Online-Diensten” schreiben. Der Unterschied zu „normalen“ Providern liegt für mich darin dass Mobilfunker für die Infrastruktur Mobilfunk bezahlen und ihr Geld mit Telefonanten verdienen. Das kann man von normalen Providern, die Internet bereitstellen, nicht behaupten. Das Geschäftsmodell ist ganz anders. Grüße aus München übrigens
Ich würde da noch die wissenschaftlichen Verlage dazurechnen, allen voran Elsevier (die größten Halunken von allen) vs. open access publication.
Wenn ich mir einen Datentarif nehme und bezahle, dann möchte ich damit machen können, was ich will – auch VoIP. Eine „Killer-Applikation“ ist für mich auch die Möglichkeit, mobil Internet-Radio hören zu können – wollen da die örtlichen Dudelfunker vielleicht auch dagegen vorgehen, weil ich ja dann die dort laufende Werbung nicht mehr hören kann?
Mich direkt in das Telefonnetz einwählen zu können ist für mich schon lange nur eine „zusätzliche Möglichkeit“ und nicht die Hauptfunktion bei einem Handy – deshalb habe ich auch einen Daten- und keinen speziellen Sprachtarif, wäre bei einem Gesprächsumsatz im Bereich von 1 Euro im Monat auch kaum sinnvoll. Und die Mobilfunker verdienen ja heute schon nicht schlecht nur mit Datentarifen.
Ein Provider, der bestimmte Dienste sperrt, ist ganz einfach ein Saftladen – vielleicht wissen manche gleich, welcher gemeint ist. Besonders zu loben ist 3, wo derartige Scherze weder durchgeführt werden, noch irgendwo in den AGB versteckt sind – und das mit dem bekannten Auslands-Roaming in den 3-Netzen ohne Aufpreis.