Beispiel Flickr: Wie weit darf man gehen?

Am 13. Juni freute sich die globale Fangemeinde von Flickr: Die Site launchte international mit acht neuen Sprachen. Abgesehen, dass die deutsche Übersetzung an einigen, wenigen Stellen etwas holprig ist, kam schon schnell die Ernüchterung. Deutsche Nutzer wie auch jene aus Hongkong, Singapur und Korea können den Content-Filter nicht abschalten.

Ob die Deutschen, Österreicher und Schweizer es wollen oder nicht – ihnen bleiben barbußige Frauen oder was man in Amerika noch für anstößig hält vorenthalten.

Seit einiger Zeit ermöglicht die Fotosite es ihren Nutzern, dass sie anstößige Inhalte bei der Suche nach Fotos nicht mehr zu sehen bekommen. Diesen Filter konnte man bislang nach Belieben ein- und ausschalten. Seitdem es Flickr auf Deutsch gibt, lässt sich der Filter von Deutschen nicht mehr abschalten.

filter

Mich betrifft das übrigens nicht, weil ich einen US-Yahoo-Account habe. Es betrifft nur Nutzer, die eine yahoo.de-Adresse haben. Wer eine .com-Mail-Adresse von Yahoo hat, sollte nicht betroffen sein.

Tagelang rumorte die Szene, ehe auch Stewart Butterfield, einer der Begründer der Site, geantwortet hat. Kurzfassung: „Sorry, wir hören euch so laut, dass es weh tut. Wir mussten uns entscheiden, ob wir in Deutschland launchen oder nicht und da haben wir uns dem dortigen Recht gebeugt und die Filterwahl deaktiviert.“

So laut, dass es weh tut – das kann man ihm glauben. Die Flickr-Gruppe „Keine Zensur“ hat mittlerweile 1124 Mitglieder, die Gruppe „Against Censorship at Flickr“ kommt gar auf 10.386 Mitglieder. Im Help-Forum zum Thema gibt es mittlerweile über 3200 Posts (abzüglich jener, die von Thomas Hawk zensiert und gelöscht wurden). Und mittlerweile dürfte dies von Nutzer atomtigerzoo gemachte Schriftzug das am meisten je auf Flickr betrachete Bild sein:

flickr-censorship

Kein Wunder, wird es doch von einem zum anderen Nutzer weiter gereicht, die die Bilder dazu auch noch als Favoriten ablegen. So sollen gleich mehrere dieser Schriftzüge am gleichen Tag auf die Interesting-Liste der Website gekommen sein. Lange waren sie allerdings nicht drauf, dann wurde der Algorithmus, mit dem das passiert geändert und die „think flickr, think“-Bilder waren aus der Interestingness-Liste draußen. Offizielle Begründung: Man wolle das Bilderlebnis derer nicht verderben, die einfach nur schöne Fotos sehen wollen.

Ein Ende der Krise ist für Flickr nicht abzusehen. Sie zeigt auch, dass man ziemlich unprofessionell an die Sache ran geht. Butterfield begründet die Content-Sperre mit der deutschen Legislative. Doch die kennt keine generelle Zensur von Abbildungen barbußiger Frauen oder anderer vom Filter beanstandeten Fotos. Sehr wohl aber eines von rechtsradikalem Gedankengut – das gibt es auch auf Flickr und zwar unzensiert. So tauscht beispielsweise eine kleine Runde Fotos von Adolf H. aus.

Wer jetzt meint, dass die Verhinderung von Kinderpornografie und ähnlichem gut ist, dem stimme ich vollinhaltlich zu. Derlei verabscheuungswürdige Dinge haben nirgends etwas verloren. Aber: derlei Inhalte wurden schon zuvor ohne Rückfrage einfach entfernt. Alles, was in die Nähe von Pornografie kam, wurde auch schon bislang gekickt.

Warum dann die Filter? Damit man nicht nach Boobs suchen kann? Müsste dann nicht auch dieses Foto zensiert werden?

Oder nehmen wir nur einmal die männlichen Geschlechtsteile her: Müsste dann Leonardo Da Vincis vitruvianischer Mensch nach dem Flickr-Code auch zensiert werden? Schließlich zeigt er sich freizügig all seiner Pracht:

Es geht für mich nicht darum, ob ich jetzt Busen im Web ansehen will – dafür gibt es vermutlich bessere Sites. Es geht um prinzipiellere Fragen. Wie weit darf Zensur gehen? Wo hört sie auf und wo beginnt sie? Wer darf zensieren? Ein Amerikaner für die ganze Welt oder hilft ein Europäer mit? Vielleicht ein Niederländer mit Joint oder doch ein Bischof aus dem Vatikan?

In einer Reaktion meinte die hochrangige Flickr-Angestellte Heather Champs, dass dies notwendig sei, damit deutsche Yahoo-Mitarbeiter im Falle des Falles nicht ins Gefängnis müssen. Ob man das abnehmen kann? Wohl nicht. Keine Ahnung, was wirklich dahinter steht. Eine Frage ist einfach zu beantworten: Die, ob es Flickr schaden wird.

Na hilfreich ist das sicher nicht. Und so gibt es schon immer mehr Verweise auf ein Tool namens Flickr-Backup. Was macht es? Es holt sich mit Hilfe der APIs alle eigenen Flickr-Fotos wieder zurück auf die Festplatte.

Das ist übrigens nicht der erste Fall, bei dem Flickr Zensur vorwarfen: Mitte Mai hatte man ein Bild und damit auch hunderte Kommentare der isländischen Fotografin Rebekka Guðleifsdóttira gelöscht. Der Grund: Sie hat sich auf ihrem Photostream und in ihrem Blog darüber beschwert, dass ihre Fotos gestohlen wurden. Die Begründung damals: Flickr wäre nicht der Platz, sich über andere Leute zu beschweren und diese zu beleidigen. WTF? Wenige Tage später entschuldigte man sich höflich bei Rebekka.

Einen Fehler entschuldigt man. Wer einen Fehler zweimal macht, ist wirklich dumm. Ich denke, man wird sich hüten, noch einmal innerhalb so kurzer Zeit nachzugeben. Es wird sich wohl nichts ändern.

7 Kommentare
  1. mgratzer
    mgratzer sagte:

    Flickr wird hier wohl eher auf die Strategie „Der User wird schon vergessen“ setzen. Die Frage ist ob es wirklich was hilft. 10.000 Members regen sich auf, von wie vielen? 5 Millionen? Ich bin sehr gespannt wie weit es noch geht und ob Germany bald Flickr-free ist ;-). Ich bin btw. auch nicht betroffen weil ich @yahoo.com registriert habe.

    Eventuell wird Zooomr bald so umfangreich sein, dass es eine echte Alternative bietet. Besonders abzuwarten ist, wann der versprochene Flickr to Zooomr Importer kommt (T. Hawk verhandelt noch wegen dem API Key für so ein Tool mit Flickr, ob sie den jemals bekommen werden?).

  2. Quentin
    Quentin sagte:

    hab gerade meinen yahoo account neu angelegt und komme jetzt für yahoo aus chicago und bei flickr transferiert, jetzt gehts bei mir wieder. aber das ist halt keine lösung..

  3. stefan2904
    stefan2904 sagte:

    Bei „Search settings“ darf man bei mir nur den „Content Type“ ändern. Also „Include art, illustration, CGI and other non-photographic images in search results“ und „Include screenshots in search results“

  4. Quentin
    Quentin sagte:

    ja dann hast du aber deinen account nicht richtig angelegt oder transferiert, nachdem ich und andere das gemacht haben, war die safe-search-option wieder da! (hast du in der neuen yahoo-id wohl einen „sicheren“ standort angegeben?)

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